Segeln um Westeuropa

Der Vogesenkanal

Der Vogesenkanal ist wohl der kniffligste Teil unserer Fluss- und Kanalreise durch Frankreich. Er ist "nur" 121,6km lang hat aber 93 Schleusen und kann manchmal sehr flach werden. Die maximale Tauchtiefe beträgt 1,8m. Das würde reichen. Ich habe 3x bei der zuständigen Behörde VNF nachgefragt und mir wurde immer bestätigt, dass ich den Kanal mit einem Tiefgang von 1,6m befahren kann.
Segler, die wir unterwegs getroffen haben, erzählten aber, sie wären schon mit ihrem 1,3m tiefen Boot auf Grund gelaufen. Vielleicht zu nah am Rand gefahren? Was also stimmt? Dummerweise ist das Wasser, in dem wir unterwegs sind, eine braune undurchsichtige Brühe. Keine Chance, den Grund zu sehen. 

In Corre verlässt man die Petite Saône und fährt durch eine Schleuse in den Vogesenkanal. In der Schleuse gibt es einen Automaten, in dem man eine Fernbedienung zur Steuerung der Schleusen bekommt. Vorher muss man sich per Gegensprechanlage beim zuständigen VNF-Büro melden. Das hat auch funktioniert. Ich drückte auf den Knopf und parlierte in einer Sprache, die ich für Französisch hielt, mit einem sehr aufgeregten Monsieur. Er erklärte mir, dass ich ab der nächsten Schleuse nicht weiterfahren könnte. Ich soll ein paar Tage warten.

Warum? Nicht verstanden.
Wie lange ein paar Tage seien können? Nicht verstanden.
Wo anlegen und warten? Es gab leine Anlegemöglichkeit für uns.

Also fuhren wir weiter. Ich dachte, wenn wir nicht weiter sollen, können die Leute die Schleuse ja stilllegen (Signal rot über rot).

Wobei das Schleusen im Vogesenkanal ohnehin so seine Tücken hat.
Wo festmachen?
Es gibt keine Poller oder Stangen in Reichweite und die Sicherheitsleitern sind zu weit in Richtung der Tore angebracht. Also versuche ich, die Bugleine mit einem kühnen Lassowurf um den Poller oben auf der Schleusenmauer zu bekommen. Nach 1-3 Versuchen klappt das auch meistens. Die Heckleine werfen wir danach mit vereinten Kräften und unserem Enterhaken um den Zaun der Betätigungsvorrichtung der Schleuse. Das ist jedes Mal eine Herausforderung, aber wir sind tapfer. 

Die hängenden Gärten vom Vogesenkanal. Wollen wir da wirklich durch?

Was tun?

Erst einmal irgendwo anlegen. Da es in Selles an der Spundwand zu flach war, fuhren wir sicherheitshalber wieder zurück an unsere letzte Haltestelle.
Auf dem Rückweg trafen wir Heidi und Gerhard, die ebenso wie wir mit Ihrem Segelboot und gelegtem Mast in Richtung Norden unterwegs waren.
Sie hatten schon von der Sperrung gehört und wollten vor der Drehbrücke warten.


Ein trauriger Anblick. Kein Wasser im ohnehin schon flachen Vogesenkanal! Was machen wir jetzt?
Die Cristallerie von La Rochère. Beeindruckende Handwerkskunst.
Als wir zurück kamen, hatte mit etwas Abstand ein Motorboot am Kai fest gemacht. Die Tinus von Hans und Tineke. Ein Glücksfall, wie sich noch herausstellen sollte.

Inzwischen sickerte die Meldung durch, dass die Kanalsperrung doch noch einige Zeit dauern würde. Langsam wurde es eng. Wir hatten sowieso schon von den Kanalfahrten die Nase voll. Ständig die Angst aufzulaufen und nicht mehr weiter zu kommen. Ständig die teils verzweifelte Suche nach einer Anlegemöglichkeit für die Nacht. Und nun kein Wasser.
Wir überlegen Alternativen. Da uns auch langsam die Zeit davonläuft, denken wir über einen Bootstransport per LKW zurück an die Ostsee nach.
Der ist zwar nicht ganz billig und die Terminabstimmung von Ort, Kran und Schwerlasttransport in Frankreich eine organisatorische Herausforderung, aber es wäre unter den gegebenen Umständen der sicherste und schnellste Weg. 

An dem Morgen, an dem wir zurück nach Port sur Saône fahren wollten, kam Hans zu uns ans Boot. Er hat in der Nacht über unser Vorhaben nachgedacht (!) und wollte uns warnen. Der Kai in der Stadt wäre zu flach und es könnte sein, dass wir das Schiff nicht kranen könnten. Kran da, Tieflader da, Boot da und nichts geht. Eine grausige Vorstellung. Außerdem konnte der Transport wegen der Formalitäten nicht vor Anfang bis Mitte August stattfinden. Was machen wir so lange in Port sur Saône?
Er meinte, die Kanalbehörde VNF würde, wenn es mit der Wassertiefe knapp wäre, den Pegel anstauen können. Wenn die uns mit der Versprechung "wir können problemlos den Kanal passieren" auf den Weg schicken, dann sind sie auch verantwortlich für unsere Passage.
Hans hat schon fast alle Kanäle Frankreichs bereist und tausend Schleusen durchfahren, er muss es wissen.
Also in letzter Minute Planänderung. Wir bleiben hier und warten auf die Öffnung des Kanals. Außerdem sind Heidi und Gerhard mit ihrer Amel und 1,75m Tiefgang vor uns.Unsere Scouts quasi.
Wir machen das Beste daraus. Heute Abend sind wir bei Hans und Tineke zum Grillen eingeladen.

am 14.7. ging es weiter. Nach 11 Tagen an der Pier.
Als wenn wir durch einen Burggraben fahren...
Wenn es nur überall so gewesen wäre...

Wir wollen morgen in Richtung Nancy weiterfahren und hoffen, dort einen Platz in der Marina zu bekommen. Endlich wieder Strom. Endlich wieder Wasser. Hoffentlich Duschen und Waschmaschinen. Im gesamten Vogesenkanal gibt es sowas nicht. Überhaupt ist die Idee, mit einem Segelboot diese Tour zu machen etwas für Lebensmüde, total Ahnungslose, ganz harte Hunde  oder völlig Bekloppte. Ich gehöre wohl zur letzten Kategorie. Was hat mich nur geritten, diesen Törn zu machen!
Mit unserem Tiefgang von 1,6m haben wir oft aufgesetzt und uns zweimal böse festgefahren. Nur sehr wenige Anlegemöglichkeiten waren tief genug für uns. Das sorgte jeden Abend für Stress. Und wenn uns ein Boot entgegenkam, war das Ausweichen problematisch. Darüber habe ich in keinem Reisebericht etwas gelesen.
Der Kanal selbst macht einen eher heruntergekommenen Eindruck. Es fehlt offensichtlich das Geld für eine umfassende Instandsetzung. Immerhin waren die Jungs vom VNF auf Draht und halfen uns über die schwierigen Passagen, indem sie das Wasser anstauten. Wenn mal eine Schleuse nicht funktionierte, waren sie schnell zur Stelle.
Stress war es trotzdem. Mit einem Motorboot mag das für Schleusenfans gehen, aber mit einem Segelboot? Nein Danke. 

Nancy ist schön. Wir wollen 3 Tage bleiben. Einkaufen, Ausruhen, klar Schiff.
Im Sommer gibt es jeden Abend um 22:45Uhr eine atemberaubende Lasershow. Einfach grandios, sowas hatte ich noch nie gesehen.
Unsere erste Rast im Canal des Vosges. Ein einsamer idyllischer Platz an einer Mauer, der sogar genug Tiefgang für uns hat.

Am nächsten Morgen kam ein Segelboot wieder zurück, das schon vorher in Richtung Norden unterwegs war. Warum sind die umgekehrt? Sollten wir tatsächlich auf irgendwas warten?

Ich rief beim VNF an und fragte nach etwaigen Problemen auf unserer Route Richtung Epinal. Die nette Dame am Telefon versicherte mir, dass es keine gäbe. "Pas de problème".

Habe ich mich doch an der ersten Schleuse verhört?

Also passierten wir noch 2 Schleusen und landeten in Selles vor einer Drehbrücke. Dort waren mehrere Autos vom VNF zu sehen. Ein Mitarbeiter rannte gestikulierend auf uns zu. Der konnte etwas englisch und erklärte uns, dass zwischen den nächsten 2 Schleusen der Kanal ausgelaufen wäre. Kein Wasser, keine Weiterfahrt. Ein Damm wäre gebrochen. Der müsste erst repariert werden und dann könnte wieder Wasser in den Kanal. Das kann dauern.

Hier ist das Wasser abgeflossen.

Dass ein gestrandetes Segelboot an einem Kai am Kanal liegt, muss sich rumgesprochen haben. Ein Auto kam zu uns hupte und ein netter Monsieur stieg aus. Er fragte, ob wir frische Eier, Kartoffeln, Rote Bete und selbst gebrannten Pflaumenschnaps haben wollten. Klar wollten wir. Bis auf den Schnaps...
Außerdem bekamen wir einen Tipp. Wir sollten unbedingt eine Glasbläserei in der Gegend besuchen. "Nur" 7,5 km von uns entfernt und mit den Fahrrädern gut zu erreichen. Dass es bergauf ging, erwähnte er nicht.

Egal, wir wollten ohnehin noch ein Geschenk für eine Freundin kaufen und fuhren dorthin.
Sehr interessant...

Auf das das Werk den Meister lobet.
Warten kann auch lustig sein. Mit Tineke und Hans haben wir tolle Freunde gefunden.
Proviant konnten wir im 7 km entfernten Supermarkt mit unseren Fahrrädern besorgen. Zum Aufladen der Batterien ließen wir den Motor tuckern. Nur Wasser wurde knapp.
Aber Regenwasser tut's auch.
Wir haben den höchsten Punkt des Vogesenkanals erreicht. Von jetzt an geht es beim Schleusen bergab. Unsere Freunde Hans und Tineke fahren voraus.

Den Tiefenmesser fest im Blick und oft auch Luft anhalten. Spannend wird's, wenn an engen Stellen ein Boot entgegenkommt.
Endlich eine Anlegestelle mit genug Tiefgang. Und sogar ein ALDI ist in der Nähe. Fast wie Urlaub.

25.7.21
Die letzten Schleusen des Vogesenkanals hatten es nochmal in sich. Eigentlich eher die Kanalabschnitte dazwischen. Wir sind mit Vollgas über Modder geschliddert, über Steine gerumpelt und haben auf Sandbänken aufgesetzt. Grauenhaft. 
Der Grund dafür waren wohl die maroden Schleusentore.


Hier sollte eigentlich das Wasser draußen bleiben. Stattdessen läuft es in den unteren Kanalabschnitt und oben sinkt der Pegel.

Nach einer Fahrt durch den Verbindungskanal in den Canal de la Marne au Rhin erreichten wir am 26.7. nach weiteren 19 Schleusen Nancy. Der Liegeplatz im Stadthafen war glücklicherweise kein Problem.

Im Hafen von Nancy. Wir genießen die Annehmlichkeiten einer Marina. Der Ausstieg über unsere Bugleiter ist wegen des gelegten Mastes eine Turnübung.

Am 29.7. verließen wir Nancy um uns mit Tineke und Hans in Pompei zu treffen. Nach nur 2 Schleusen waren wir im Canal de la Marne au Rhin und fuhren in die Mosel. In Pompey warteten schon unsere Freunde an einem hübsch gelegenen Anlegesteg. Die Wassertiefe war nun kein Problem mehr.

Der VNF scheint uns als Problemkind im Visier gehabt zu haben.  Kaum hatten wir den Vogesenkanal hinter uns gelassen, meldete sich Cindy per Mail. Ich hatte sie vor Antritt der Fahrt mit Fragen zur Wassertiefe und der Machbarkeit unseres Vorhabens genervt. Sie entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten, die wir im Vogesenkanal hatten und wünschte uns eine gute Weiterfahrt. Nett oder? Ich habe ihr natürlich geantwortet und mich meinerseits für die schnelle Hilfe ihrer Kollegen bedankt.